Ayurveda – Die Wissenschaft vom Leben

Ein kurzer Ratgeber zur Aufklärung

Ayurveda gilt als das älteste ganzheitliche Heilsystem der Menschheit und ist von der WHO als Naturheilkunde anerkannt. Ayurveda ist in erster Linie ein Lebensstil  zur Erhaltung der Gesundheit. Mit diesem Verständnis ist Ayurveda auch als ein präventives Gesundheitssystem zu verstehen, das Krankheit vorzubeugen versucht. Ist eine Erkrankung eingetreten, verfügt der Ayurveda über verschiedene Behandlungsmethoden und zahlreiche Therapien. Die ayurvedische Diagnostik gliedert sich in 8 Stufen und betrachtet den ganzen Menschen als Individuum und fokussiert sich nicht auf die Krankheit. So sind im Ayurveda bereits Befindlichkeitsstörungen eindeutig diagnostizierbar und werden mit entsprechender Ernährung und Empfehlungen zum Lebensstil behandelt. Ziel ist es, dass sich eine Krankheit (Stufe 4), möglichst erst gar nicht bildet.

Im Gegensatz zum Ayurveda beginnt die Diagnostik in der westlichen Medizin erst ab Stufe 4, also wenn die Krankheit bereits besteht. In dieser erweiterten Diagnostik sowie in der Behandlung von chronischen Leiden, die sich nach dem ayurvedischen Verständnis meistens, aber nicht ausschließlich, auf einen der individuellen Konstitution unangemessenen Lebensstil gründen, erkennen Fachleute die größten Vorteile des Ayurveda und der Ayurveda-Medizin.

Wo liegen die Wurzeln des Ayurveda?

Das Wissen des Ayurveda entstammt der vedischen Hochkultur. Es wurde über einen langen Zeitraum in Sanskrit, der indischen Gelehrtensprache, mündlich überliefert, ehe in der Zeit um und nach Christi Geburt umfassende ayurvedische Kompendien entstanden. Die noch heute für Studium und Praxis in der Ayurveda-Medizin verwendeten Sanskrit-Schriften sind die Caraka-Samhit (entstanden vermutlich um Christi Geburt) und die Suruta-Samhit (entstanden zwischen 1. und 3. Jh.n.Chr.) sowie zwei Werke, die dem Gelehrten Vagbhata (7. Jh.n.Chr.) zugeschrieben werden, nämlich der Astangasamgraha ("Zusammenfassung der achtteiligen Wissenschaft") und die außerordentlich angesehene Astangahridayasamhit ("Sammlung der Essenz der achtteiligen Wissenschaft").

Ayurveda hatte großen Einfluß auf die Entwicklung der chinesischen, der ägyptischen und der islamischen Medizin. Der bedeutende persische Arzt und Philosoph Ibn Sina (980 – 1037 n.Chr.), in Europa bekannt als Avicenna, rühmte das indische Heilsystem u.a. in seinem Hauptwerk, dem "Medizinischen Kanon", der ins Lateinische übersetzt wurde und über Jahrhunderte für europäische Mediziner ein Standardwerk darstellte.

Wer heute in Indien oder Sri Lanka Ayurveda-Arzt werden möchte, absolviert in 11 Semestern ein Hochschulstudium in ayurvedischer Medizin. Nach Abschluss darf er als Ayurveda Arzt die Bezeichnung B.A.M.S. führen, die für "Bachelor in Ayurveda Medicine und Surgery" steht. Nach dem Studium erfolgen Praxisjahre und ein lebenslang anhaltender Lernprozess, bei dem weniger erfahrene Ärzte von sehr erfahrenen Ayurveda-Ärzten oder traditionellen Ayurveda-Gelehrten (Vaidyas) begleitet werden oder deren Rat suchen.

Wer darf Ayurveda als medizinische Behandlung in Deutschland anwenden?

Die Bezeichnung "Ayurveda-Arzt" ist in Deutschland kein offiziell anerkannter Titel. Wer als Arzt in Deutschland zugelassen ist, muss ein abgeschlossenes schulmedizinisches Studium an einer deutschen Universität nachweisen. Danach liegt es im Ermessen des Arztes, ob und wie er sich das Wissen um den Ayurveda aneignet.

Seit einigen Jahren bietet die Europäische Akademie für Ayurveda in Zusammenarbeit mit der Middlesex-University London ein berufsbegleitendes Ayurveda-Studium für Ärzte und Heilpraktiker an. Manche Ärzte bildeten sich während eines ein- bis zweijährigen Studienaufenthalts in Indien fort oder nehmen an Fortbildungsreisen in Indien sowie an Ayurveda-Fachseminaren in Deutschland, Österreich oder der Schweiz teil. In Ungarn wird Ayurveda-Medizin an der Universität gelehrt.
Der Begriff Ayurveda-Arzt ist im deutschsprachigen Raum bisher nicht geschützt.

Prof. L.M. Singh, Ayurveda-Vaidya aus Kathmandu sagte auf einer Ayurveda-Konferenz in der Ayurveda-Klinik in Kassel: "Das Beste ist es, wenn die besten schulmedizinisch ausgebildeten Ärzte mit den besten Ayurveda-Ärzten zusammenarbeiten."

Was unterscheidet Ayurveda so sehr von unserer Hochschulmedizin?

Ayurveda rückt den gesamten Menschen in das Blickfeld. Dazu gehören Körper und Geist als eine Einheit, die Seele, individuelle Lebensumstände und die Umwelt.

Die Basis bildet für das Individuum seine Prakriti, die Konstitution bei Geburt. Wenn sich das aktuelle Befinden von der Prakriti entfernt, was aufgrund der Lebensumstände bei den meisten Menschen der Fall ist, spricht man von Vikriti. Zur ihrer Bestimmung kommen nun die drei Doshas Vata, Pitta und Kapha ins Spiel. Diese drei Bioenergien sind in jedem Menschen vorhanden, jedoch in unterschiedlichen Proportionen.

Welche Bedeutung haben die "Doshas"?

Vata, Pitta und Kapha bestehen aus den fünf Elementen, die den Kosmos, ebenso wie den menschlichen Körper bilden: Vata aus Raum und Luft, verkörpert das Element Bewegung; Pitta aus Feuer und einem kleinem Anteil Wasser, verkörpert die Veränderung; Kapha aus Wasser und Erde, verkörpert die Beständigkeit.

Darüber hinaus sind den drei Doshas auch geistige und emotionale Zustände zugeordnet. Die Doshas finden sich in allem, so auch in Nahrungsmitteln, deren Eigenschaften durch sie bestimmt werden. Ernährung ist der Grundpfeiler des Ayurveda überhaupt und Nahrung wird deshalb als Medizin betrachtet.

Die Ernährung ist im Ayurveda so bedeutend, da sie dem Körper zuführt, woraus er sich bildet. Buchstäblich trifft hier zu: "Der Mensch ist, was er ißt".

Alle drei Doshas finden Entsprechung im gesamten Organismus, in der Körpergestalt und äußerlichen Merkmalen, sowie in Verhalten und Krankheitsbildern.

Mittels verschiedener Diagnoseverfahren, wie Anamnese, Zuordnung genannter körperlicher Merkmale, Zungendiagnose und Pulsdiagnose diagnostiziert der Ayurveda-Arzt unter Einbeziehung der Symptome das Ungleichgewicht (Vikriti) der Doshas.
Heute werden in Krankheitsfällen durchaus Blutwerte, bildgebende Verfahren oder andere konsiliarische internistische Berichte hinzugezogen.

Danach folgt die Einleitung von therapeutischen Maßnahmen zur Wiedererlangung der Balance der Doshas. Diese bestehen unter anderem aus angepasster Ernährung, Ölanwendungen, Schwitzbädern, medikamentösen Verabreichungen, Entgiftung des Körpers (Pancakarma = 5 Handlungen).

Ölmassagen & Co. - und was es damit auf sich hat

Ayurveda setzt verschiedene Massagepulver oder Basisöle (Sesamöl, Kokosöl) ein, die je nach Konstitution und eventuellem Krankheitsbild mit Kräuterdekokten versetzt in langwierigen, traditionellen Verfahren hergestellt werden.
Die beabsichtigte Wirkung – entgiftend, nährend, heilend - beruht also auf der genauen Kenntnis der Eigenschaften des verwendeten Öls und seiner Zusätze.

Diese "gereiften" Öle dringen in kurzer Zeit durch die Haut bis in tief liegende Körperzellen vor.
Ist eine Entgiftung beabsichtigt, binden die Öle die dort vorhandenen Giftstoffe und transportieren diese über die feinsten Kanäle hin zu den größeren Kanalsystemen im Körper. Nach einigen Tagen, abhängig von der Dauer der Entgiftungskur, werden die Abfallprodukte aus dem menschlichen Körper ausgeschieden.

Die Entgiftungsphase kann tief greifende psychische Reaktionen bewirken. Es ist daher dringend empfohlen, dem Körper und Geist Ruhe zu gönnen. Yoga und Meditation wirken unterstützend.
Dieser Ausleitungsphase folgt die nährende Phase. Dem Körper werden dann, auch über Ölmassagen, aufbauende und regenerierende Nährstoffe zugeführt.

Von Tag zu Tag spürt der Kurende, wie seine Lebensgeister zurückkehren. Wenn die Kur erfolgreich verläuft, fühlt er sich am Ende wie neu geboren. Das heißt, er ist wieder in der Balance bzw. sehr nahe seiner Prakriti.

Eine sehr intensive Behandlungsform ist der Shirodara (Stirnölguss), der bei geschwächten oder sensiblen Menschen eine starke Wirkung auf Kreislauf, Nervensystem und Psyche ausüben kann.

Neben den Ölbehandlungen, die Einreibungen, Massagen, Ölgüsse umfassen, greift der Ayurveda auch auf pflanzliche Kräuterpräparate, Tinkturen und Pulver zurück.

Innerhalb Indiens gibt es durchaus regionale Unterschiede bei den Therapien. Während im Süden, vor allem in Kerale, ausschließlich pflanzliche Präparate und Ghee verwendet werden, sind in Nordindien auch die Verwendung weiterer tierischer und metallischer Präparate üblich.

Die Stärken des Ayurveda

Ayurveda ist ein ganzheitliches System, seinen Körper, Geist und Seele zu pflegen und möglichst vor Krankheit zu schützen.

Ist es zu einer Krankheit gekommen, verfügt die Ayurvedamedizin über ein breites Spektrum an Therapien. Ihre Stärken liegen in der Behandlung einiger chronischer und autoimmune Erkrankungen, wie Asthma, Diabetes, Migräne, Bluthochdruck, Neurodermitis, Arthritis,  rheumatischer Beschwerden, Parkinson, Multiple Sklerose, Adipositas, ADHS, Erschöpfungssyndrom und vielen weiteren.

Nach Operationen hilft eine medizinische Ayurvedabehandlung den Körper mittels der Ausscheidung von Giften zu entlasten und trägt damit wesentlich zu einer Rekonvaleszenz bei. Bei Krebstherapien wird im Fall von begleitenden ayurvedischen Behnadlungen von einer besseren Verträglichkeit der Chemotherapie berichtet.

Warum erfeut sich Ayurveda steigender Beliebtheit?

Ayurveda nimmt sich des ganzen Menschen in seiner Individualität an - bildhaft und logisch. Ayurveda ist eine reine Naturmedizin. Ein Ayurveda-Arzt nimmt sich Zeit für seinen Patienten und die ayurvedische Diagnose ist für den Patienten nachvollziehbar und einleuchtend. Zugleich erfährt der Patient eine tiefgreifende Beschreibung seiner Person aus einer neuen Perspektive. So kann er gemeinsam mit seinem Arzt oder Therapeuten daran mitwirken, sich seiner Prakriti wieder anzunähern.
Allein mit der Ernährung ist es jedem einzelnen möglich im Alltag viel zum Ausgleich seiner Doshas beizutragen und schon damit Krankheit möglichst zu vermeiden.

Ein weiterer Grund für die Beliebtheit des Ayurveda liegt sicherlich auch im positiven Feedback jener, die in einem indischen oder singhalesischen Ayurveda-Resort eine Kur gebucht und deren wohltuende Wirkung nach Rückkehr noch monatelang gespürt haben.

In solchen Fällen war eine intensive ärztliche Betreuung gegeben, konnten offene Fragen meistens mit einem sehr erfahrenen Ayurveda-Arzt besprochen werden, war ein gut ausgebildetes Therapeutenteam im Einsatz und wurde die Ernährung dem Konstitutionstyp und den ärztlichen Vorgaben angepasst.

Auch die zunehmende, leider oftmals sachlich falsche und romantisierende Berichterstattung über Ayurveda in den Medien und die Werbung von vielen privaten Instituten, Ayurveda-Einrichtungen und Hotels dürfte für die Popularität des Ayurveda in Deutschland mit verantwortlich sein.
Wer hat nicht schon einmal das Fotomotiv einer entspannt auf dem Rücken liegenden Dame in einem luxuriösen Ambiente gesehen, der ein dünner Ölstrahl über die Stirn fließt?

Was steckt hinter den vielen "Ayurveda-Angeboten"?

Leider zu oft alles andere als Ayurveda. Prüfen Sie mit gesunder Skepsis vor der Buchung die Ayurveda-Angebote und informieren Sie sich. Ein Spa-Menü, das Ihnen eine Vielzahl an exotischen Anwendungen bietet, sollte eher kritisch betrachtet werden. Erwarten Sie in einem solchen Fall nicht zuviel. Am besten ist es, wenn Sie sich bei einem Ayurveda-Arzt oder -Therapeuten zuvor Ihren Konstitutionstyp bestimmen und erklären lassen; so gehen Sie bereits gut mit Information gerüstet zu Ihrer Anwendung. Von großem Vorteil ist es auch, wenn er Ihnen bereits bestimmte Anwendungen und eventuell sogar eine Ayurveda-Einrichtung empfiehlt. Wenn Sie diese Möglichkeit nicht haben, fragen Sie bei Buchung Ihrer Anwendung in einem Hotel oder Spa nach der Ausbildung der behandelnden Person. Achten Sie darauf, ob das zur Anwendung kommende Öl Ihrem Konstitutionstyp entspricht und daß es mindestens auf Körpertemperatur erwärmt appliziert wird. Fragen Sie nach dem Basisöl. Fragen Sie ruhig auch nach der Marke des Öls. Es müssen auf alle Fälle pestizidfreie, naturreine Bio-Öle verwendet werden.
Planen Sie eine Kur, buchen Sie am besten bei einem erfahrenen auf Ayurveda-Reisen spezialisierten Anbieter und lassen Sie sich beraten.

Sie sollten auch wissen: Ayurveda hat nichts mit wohlriechender Aromatherapie zu tun. det werden. Und Sie sollten wissen: Ayurveda hat nichts mit wohlriechender Aromatherapie zu tun.

Was kann ich selbst zu meiner Gesunderhaltung tun?

Ayurveda ist ein Lebensstil, der zur Selbstverantwortung einlädt und gelebt werden möchte, um seine optimale Wirkung zu entfalten. Dazu gehören eine gesunde Lebensführung, gesunde Ernährung, Ölanwendungen, tägliche Körperhygiene, die über die uns bekannte weit hinaus reicht, und möglichst Yoga und Meditation.

In einem so gepflegten Körper und Geist ist die Wirkung von Massagen, Stirnölgüssen, Dampfbädern oder Kräuterverabreichungen weitaus höher und anhaltender als bei einem Körper, der stets ans Limit des ihm Zumutbaren getrieben wird, und dem nur ab und zu  etwas Gutes gegönnt wird.

Wer Ayurveda konsequent lebt, wird in relativ kurzer Zeit seine positive Wirkung auf das persönliche Wohlbefinden im Alltag bemerken und sich bald nahe seiner Prakriti "wie neu geboren" fühlen.


Iris Hüttner, die Autorin dieses Ratgeberbeitrags, ist Ayurveda-Beauftragte und Mitglied im Kompetenzteam des Deutschen Wellness Verbands e.V..

 


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