Wellness-Beiträge



Medical Wellness: Das Recht auf Wirkung

von Lutz Hertel
Die Wellnessszene hat in den letzten Monaten immer wieder Kritik einstecken müssen. Dubiose Angebote, fehlende Standards, zweifelhafte Wirkung. Nun ist ein neues Schlagwort im Umlauf, das die Zukunft sichern soll: Medical Wellness.

Nach mehreren Jahren Verwöhn-Mich-Kult ist die Gemeinde der Wellness-Anbieter auf der Suche nach neuen Horizonten. Da die Geschäfte nicht mehr so gut laufen, müssen Ideen für neues Wachstum her.  Zuletzt war es der Trendforscher Matthias Horx (Zunkunftsinstitut), der dem Begriff Wellness das vorzeitige Aus bescheinigen wollte und unter der Überschrift „Selfness“ eine neue Absatz-Ära ausrief. Zu viel Wischiwaschi und Beliebigkeit im Umgang mit der Wellness-Vokabel hätten den einst guten Kredit beim Verbraucher verspielt. Außerdem hätten sich die Bedürfnisse der Konsumenten verschoben.

Auf der Such nach Selbstverbesserung

Statt Kuschelfrottee, Streichelmassagen und Cleopatrabädern steht demnach heute der Sinn mehr nach anspruchsvolleren Benefits. Zitat Horx: „Wir wollen nicht einfach nur „relaxen“, wir wollen vielmehr besser wissen, was gut für uns ist.“ Selfness fasst das Streben nach verstärkter Selbstkontrolle, Selbstkompetenz und Selbstgenuss zusammen. Wie man diese Trendeinschätzung zu Geld machen kann, ist derweil noch nicht genau geklärt. Die Fokussierung auf das Selbst macht jeglichem Konsumartikel Konkurrenz und alle Dienstleistungen, die Selfness wahrhaftig verkaufen, machen den Kunden zwangsläufig immer unabhängiger vom Anbieter. Es scheint, als sei das Horx-Konzept noch nicht verstanden, akzeptiert oder bislang einfach falsch umgesetzt worden. Von Selfness ist im Markt – abgesehen vielleicht von einem neuen Frauenmagazin namens „Myself“ – noch nicht viel zu merken.

Immer mehr Menschen wollen im Urlaub etwas für ihre Gesundheit tun

Anders verhält es sich mit „Medical Wellness“. Der Zusatz „Medical“ signalisiert ein Upgrade und straht Kompetenz aus. „Medizinisch“ wird schnell mit wirksam, seriös und wertvoll assoziiert. Hier ahnt der Kunde, dass sich seine Investition rentieren könnte. Besonders im Tourismus stehen zurzeit viele Zeichen auf Medical. Dabei ist die Leistung, die sich hinter dem plakativen Begriff verbirgt, wahrlich nicht neu. Sie hieß bis vor kurzem schlicht Kur. Da aber der an Stützstrümpfe und Blasmusik erinnernde Begriff mittlerweile nicht einmal mehr im Sozialgesetzbuch das einträgliche Geschäft der Kurorte absichert, muss die neue Welle nicht unbedingt als Konkurrenz verstanden werden. Ganz gleich, wie man die Verbindung von Reisen und Gesundheit titulieren will, der Trend bewegt sich laut Marktforschung nach oben. Bis zum Jahr 2010 sollen zwei Millionen Bundesbürger einen „Health Care“-Urlaub buchen, um damit selbstverantwortlich vorzubeugen oder ihre Zipperlein zu lindern. Und schon heute möchte jeder Vierte im Urlaub etwas für seine Gesundheit tun.

Was hat Schönheitschirurgie mit Wellness zu tun?

Allerdings ist auch schon der Streit darüber ausgebrochen, was Medical Wellness eigentlich ist und vor allem: nicht ist. Viele möchten den Geltungsbereich auf den Tourismus beschränken. Ohne Zweifel hat sich in diesem Marktsegment auch die größte Dynamik gezeigt. Es spricht aber sicherlich auch wenig dagegen, die Angebote von niedergelassenen Ärzten und sonstigen Experten im Bereich der Präventivmedizin oder neudeutsch „Anti-Aging-Medizin“ in das Spektrum von Medical Wellness einzubeziehen. Schließlich waren es Präventivmediziner, die in den USA zwischen 1960 und 1980 die Wellnessbewegung aus der Taufe hoben. Welche Medizin am verheißungsvollen neuen Markt partizipieren darf und soll, ist ungeklärt und gerade diese Frage erhitzt zurzeit die Gemüter. Immer häufiger findet man unter dem Oberbegriff Medical Wellness nicht nur Vorsorge-Ärzte oder Naturheil-Kundige, sondern auch die Schönheitschirurgen. Gerade Hoteliers liebäugeln mit der Kombination aus Wohlfühlurlaub und Skalpell und die ersten haben bereits Praxis- und Operationsräume hierfür in Betrieb genommen.

Medical Beauty und Soft-Medizin sollen neue Kundenkreise erschließen

Aber auch ohne Operationsbesteck ist das Konzept der medizinischen Schönheitsbehandlung auf dem Vormarsch. „Medical Beauty“ wird bereits als Trend im Trend gehandelt und soll  als „Soft-Medizin“ nicht nur die Best-Agers, sondern auch die heranwachsende Generation als Kundschaft locken. Erste Kosmetikfirmen aus der Wellnessbranche sind in diese Entwicklung eingestiegen und bieten bereits Produkte für die kosmetische Vor- und Nachbehandlung von ästhetisch-plastischen Eingriffen an.

Nicht jeder Anbieter begrüßt die Übernahme der Wellnessbranche  durch die Medizinmänner. „Wir versorgen keine Kranken“, betont der Direktor des 5-Sterne-Domizils Brenner´s Parkhotel & Spa in Baden-Baden. Trotz seiner exzellenten medizinischen Angebote möchte er nicht mit einem Sanatorium verwechselt werden. Auf der anderen Seite sind es aber gerade die Kliniken, die zunehmend Gefallen am Wellness-Markt finden.

Kliniken reagieren verunsichert

Bereits 2004 erhielt die Klinik am Haussee in Mecklenburg-Vorpommern ein Gütesiegel für ihr Medical Wellness Angebot vom Deutschen Wellness Verband. Die Pionierarbeit wurde belohnt. Altkanzler Gerhard Schröder besuchte die Reha-Klinik im letzten Jahr wegen ihres interessanten Angebotsspektrums – im Gefolge eine Schar von Journalisten. Der Geschäftsführer der Klinik konnte sich freuen. Sein Haus wurde auf einen Schlag in ganz Deutschland bekannt. Doch der Nachzug weiterer Kliniken ist verhalten. Grund dafür scheinen vor allem Befürchtungen zu sein, dass die Kostenträger – Renten- und Krankenversicherer – den Patientenhahn zudrehen könnten. Entsprechende Drohungen wurden ausgesprochen. Reha und Wellness vertragen sich nach Ansicht der Sozialversicherungs-Verwalter eben nicht. Michael Schmid, stellvertretender Chef der Klinik am Haussee, verteidigt den innovativen Kurs. Seine Bemühungen, die verschreckten Kollegen aus anderen Kliniken zum Mitmachen zu animieren, haben bislang nur wenig Erfolg.

„Jetzt möchte jeder, der eine Pulsuhr hat, Medical Wellness anbieten.“

Dass die Klinik-Fraktion immer noch hadert und den Trend verpassen könnte, kann der Hotellerie als härtestem Konkurrenten nur Recht sein. Da sie Vorreiter im neuen Markt Medical Wellness war, gibt es von ihrer Seite auch wenig Verständnis für die Begehrlichkeiten aus dem medizinischen Lager. Dabei wird die eigene Legitimation allerdings auch überschätzt. Schmid warnt begründet vor Leichtfertigkeit und unverantwortlichen Trittbrettfahrern: „Jetzt möchte jeder, der eine Pulsuhr hat, Medical Wellness anbieten.“ Ein gestresster Manager könne aber nicht ohne vernünftige Diagnostik auf ein Laufband gestellt werden, so seine feste Überzeugung.

Einer, der es aus langjähriger Erfahrung wissen muss, ist der ehemalige Spitzensportler Dr. Thomas Wessinghage. Er leitet als Chefarzt eine Rehabilitionsklinik im Tourismuszentrum Damp an der Ostsee. Die Wellnesseinrichtungen werden hier übrigens von Urlaubern und Patienten gleichermaßen frequentiert. Wessinghage spricht sich für ein vernünftiges und verantwortungsvolles Miteinander der Bereiche Wellness und Medizin aus: „Die Übergänge zwischen Medizin und Wellness sind fließend. Direkte Berührungspunkte mit der Medizin haben die Bereiche Bewegung, Entspannung und Ernährung. Ganzheitliches Denken ist eine grundlegende Voraussetzung modernen medizinischen Handelns.. Ein Mediziner ist natürlich gewohnt, darauf zu achten, dass die eingesetzten Methoden bewährt und ggf. sogar wissenschaftlich überprüfbar sind. Wichtig sind Qualitätsstandards, Transparenz bzw. Nachweisbarkeit von Effekten und nicht zuletzt die Qualifikation der durchführenden Personen.“ Seriosität verlangt laut Wessinghage stets nach Kenntnis und weitestgehender Reduzierung gesundheitlicher Risiken für Gäste und Patienten. Dies gilt für Medizin und Wellness in gleicher Weise.

Wenn Gäste planlos durch die Wellnessabteilungen geistern

Auch Dr. Alexander Witasek. ehemaliger Chefarzt des Gesundheitszentrums im österreichischen Wellnesshotel Lanserhof, erwartet nicht nur Schadensfreiheit, sondern nachweisbare Wirkung für den Kunden. Es dürfe nicht sein, dass in den weitläufigen Wellnessabteilungen Gäste auf der Suche nach Berührung, Verwöhnung und Selbstfindung planlos herumgeistern. Ein gesundheitswissenschaftlich durchdachtes Konzept lässt sich in der Tat nur selten hinter mosaikgefliesten Saunaerlebniswelten oder bunten Kabinentüren entdecken. Bislang dominieren optische Effekte, Innenarchitektur und -dekoration den Wirkungsgrad. Anamnese, Diagnose und Beratung mit darauf abgestimmten individuellen  Wellness-Programmen ? Fehlanzeige. Stattdessen kann es schon mal vorkommen, dass ein enthusiastischer Wellnessjünger nach zu viel Hitze, Dampf und Wasser im Kreislaufkollaps endet.  Gut, wenn spätestens dann ein Arzt im Hause ist.

Der Arzt als Wellnessguide

Möglicher Weise geht die ganze Diskussion auch am Thema vorbei. Wenn sich Wellness und Medizin in gesunden Aktivitäten wie Bewegung, Entspannung und Ernährung begegnen, dann sind wohl weniger ärztliche Heil- und Schönheitsbehandlungen, als viel mehr wirksame Verhaltensprogramme unter fachkundiger - eben ärztlicher - Anleitung zur Verbesserung der Gesundheit gefragt. Experten sprechen in diesem Zusammenhang etwas trocken von „Verhaltensmedizin“. Deren Programme finden unter der Überschrift „Prävention“ seit Jahrzehnten nur leider kaum Abnehmer. Wer hat auch schon Lust auf Verzicht, Vernunft und den aussichtslosen Kampf mit dem inneren Schweinehund? Der Aufforderung zum „healthy lifestyle“ wird da schon eher Folge geleistet, wenn Lust, Genuss und Spaß in Aussicht stehen. Was im Einzelnen für wen und in welcher Dosierung sinnvoll ist, kann mit medizinischem Sachverstand wohl am besten beurteilt werden. Nicht jeder Weißkittel wird jedoch die nötige Eignung als Lotse im Wellness-Betrieb mitbringen. Hier sind überzeugende Typen mit Vorbildcharakter gefragt.

Medical Wellness im Sinne wirksamer Bewegungs- Ernährungs- und Entspannungsprogramme unter anerkannter fachlicher Leitung wird sich auch für die Anbieter zukünftig rechnen. Die ersten Krankenkassen zahlen bereits für qualitätsgesicherte Wellnesswochen dieser Art bis zu 150 Euro Zuschuss pro Person. Und dies ist sicherlich erst der Anfang.

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