Wellness-Beiträge



Alle Spirituellen Wege beginnen beim Körper

Können Wellnessunternehmen auch die Bedürfnisse von Sinnsuchenden befriedigen? Sind Wellness, Selfness und Mindness Religionsersatz oder auf dem Weg zu einer neuen Religion? Oder wird hier nur ein Tagtraum vom ewigen schönen Leben und Denken inszeniert, ein Wochenend-Paradies im Diesseits? Und gilt die göttliche Verehrung allein dem eigenen Körper und Geist?

Text Peter A. Krobath
Quelle:Spa World

Alle großen Weltreligionen bauen auf die heilige Kraft des Wassers.

Wellness, Selfness und Mindness sind nicht nur Konzepte gegen den anstrengenden Alltag. Sie sind vor allem auch ein Zeichen für die aktive Suche der heutigen Gesellschaft nach einem Lebenssinn. Was Wellness und seine Weiterentwicklungen in die Nähe zum Religiösen bringt. Doch das hat geschichtliche Wurzeln und ist so gesehen kein Zufall.

Heiliges und geweihtes Wasser, rituelle Bäder und Schwitzkuren, Gebets- und Meditationshaltungen, rhythmische Einsalbungen, Stimmungsbeeinflussung durch bestimmte Aromen und Räucherungen, Besinnung durch Fasten – das, was die großen Weltreligionen seit jeher bieten, klingt wie das Basisprogramm eines heutigen, also profanen Wellnesstempels. Das gemeinsame Zelebrieren von (Körper-)Ritualen an besonderen Kraftorten mit Wellness weist deutliche Parallelen zu (heiligen) Messen auf. Das andächtige Schweigen im Dampfbad weckt Assoziationen an Orte der Andacht, und auch die Architektur und Ausstattung so manchen Wellness-und-Spa-Ressorts erinnern an sakrale Bauten und Räume. Geht es hier nur um (bewusste und unbewusste) Ähnlichkeiten, Zitate und Metaphern? Oder steckt mehr dahinter?

Heilige Waschungen

Die Ägypter verehrten den Nil, die Assyrer und Chaldäer beteten ebenfalls Flüsse an, die Phönizier huldigten den Quellen des Adonis-Flusses, die Griechen opferten der Quellgöttin Artemis, und die Inder verklärten den Ganges zum heiligen Fluss. Wasser ist ein Symbol für den Urspung allen Lebens, für die geheimnisvolle Lebenskraft. Kein Wunder, dass es in den Schöpfungsmythen vieler Kulturen eine zentrale Rolle spielt. Noch weniger überraschend, dass religiöse Deutungen der Natur von Anfang an mit dem Element Wasser verbunden waren: Entstanden doch alle drei monotheistischen Weltreligionen in einer wasserarmen Region.

Einen Bezug zwischen der reinigenden Kraft des Wassers und den als heilig geltenden Waschungen gibt es, seit Menschen Götter erfanden und Rituale, um sie zu verehren. Sich im klaren Wasser zu reinigen, bevor man Göttern huldigt, ist seit der Antike ein allgemein praktizierter religiöser Brauch.

Im alten Ägypten wusch man Gesicht und Hände im Wasser, bevor man zu Isis betete. Priester wuschen ihren Körper mindestens zweimal täglich, auch in der Nacht. Sogar in zahlreichen Texten des Alten Testaments wird das Wasser gepriesen. Zum Symbol des spirituellen Lebens wird das Wasser jedoch erst im Neuen Testament. Das Christentum übernimmt das von Moses angeordnete Reinigungsbad anfangs für Körper und Seele. Johannes der Täufer tauft die ersten Christen im Jordan, eine Handlung, die erst später (etwa im 8. Jahrhundert) durch leichtes Besprengen der Stirn mit Wasser ersetzt wird. (Nur die orthodoxen und baptistischen Kirchen verlangen bei der Taufe noch das Untertauchen mit dem ganzen Körper.) Die Stifter der großen Religionen haben alle diese läuternde Wirkung des Wassers hervorgehoben: Es reinigt schließlich auch die Seele und nicht nur den Körper.

Mikwe, Hammam und Ganges

Entsprechend entwickelten Judentum, Christentum und Islam ähnliche Vorstellungen und rituelle Handlungen. Das Ritual des Waschens wird übertragen auf Reinigung, Erneuerung und die Reinwaschung von Sünden. In der jüdischen Religion geht dem rituellen Bad, „Mikwe“ genannt, eine Reinigungszeremonie voraus. Das Mosaische Gesetz schreibt das Baden vor, und im Talmud heißt es, dass „ein Jude in keiner Stadt leben dürfe, die nicht über öffentliche Bäder verfügt“. Die christliche Taufe im Namen Jesu bezeichnet sogar eine Neugeburt: die Aufnahme in die Gemeinschaft der Glaubenden. Das Untertauchen in Wasser wird zum Symbol der Reinigung von allen Sünden, das Auftauchen zur Wiedergeburt.

Auch im Islam gilt Wasser als gesegnet. Gereinigt vom Alltag und Profanem soll der Gläubige im Gebet vor Gott stehen. Wasser symbolisiert die göttliche Allmacht und Barmherzigkeit Allahs. Die Badekultur in islamischen Ländern ist eng mit dem Glauben verknüpft. „Allah liebt die sich Bekehrenden und die sich Reinigenden“, heißt es im Koran. Ähnlich wie im Buddhismus gibt es eine Verbindung von körperlicher und seelischer Reinheit bzw. Unreinheit. Der Islam kennt daher zahlreiche rituelle Bäder zu bestimmten Anlässen. Im Grunde ist jedes Bad auch ein Ritual. Gläubige Muslime beten fünfmal am Tag und vor jedem Gebet ist eine Waschung mit fließendem Wasser vorgeschrieben. Daher gibt es in vielen Moscheen einen Waschraum.

Für Hindus überträgt sich die segensreiche Schöpfungskraft der Göttin Ganga durch das Bad im heiligen Fluss auf den Gläubigen. Das Bad soll Heilung und Schutz bringen. Und wenn buddhistische Mönche ein Sandmandala dem heiligen Fluss übergeben, bringt sein Wasser Geheiligtes zu anderen Menschen. Dass das Wasser am Zusammenfluss des Ganges, des Yamuna und des Saraswati, in dem am Tag des „Ard Kumbh“-Festivals Millionen von Pilgern untertauchen, heute ziemlich verschmutzt ist, stört dabei niemanden.

In Europa waren es nicht selten Mönche und Pfarrer, die im 19. und 20. Jahrhundert die Naturheilkunde, das Heilfasten und diverse Wasserkuren propagierten. Einige dieser Leute wussten schon lange vor der Entdeckung des „emotionalen“ Gehirns, dass man an die Gefühlswelt und das seelische Empfinden der Leute oft leichter über den Körper herankommt als über den Kopf.

Spiritualität im Wellnesstempel

Alle spirituellen Wege beginnen beim Körper, stellen Willigis Jäger, Benediktinermönch und Zen-Meister, und Christoph Quarch, Studienleiter des Evangelischen Kirchentags, in ihrem Buch „ …denn auch hier sind Götter. Wellness, Fitness und Spiritualität“ fest. Zu tiefer religiöser Weisheit und spiritueller Schönheit lässt es sich auch an säkularen Orten finden, sagen sie.

Vielleicht haben sich die Orte der Sinnsuche heute lediglich ein wenig verschoben. Immer weniger Menschen glauben an Gott, gehen zur Kirche oder fühlen sich in einer Religion gehalten. Wenn sie nun ersatzweise am Sonntag eher in den Wellnesstempel gehen, hoffen sie, dort dieses „Etwas“ zu finden. Umspült von der weichen Wärme im Dampfbad oder im Whirlpool oder zutiefst entspannt von einer Massage, kann einen das Gefühl des Einsseins und einer innigen Verbundenheit mit allem erfüllen.

„Warum sollten wir die Präsenz Gottes nicht dort erfahren dürfen, wo wir glücklich sind?“, fragen Jäger und Quarch und geben gleich im nächsten Satz selbst die Antwort: „Mehr Sinn dürfte es machen, gerade unsere Glückszustände – unsere wirklichen Glückszustände – als Auswirkungen einer Begegnung mit der Wirklichkeit Gottes zu deuten.“

Besorgniserregend sei, so Willigis Jäger, dass die angestammten religiösen Einrichtungen mit der Sehnsucht nach Spiritualität, nach individueller Erfüllung und Glück offenbar wenig anfangen können. Diese Entwicklung sieht er aber nicht nur negativ, denn die Wellnesswelten könnten diese Lücke schließen: „Daneben gibt es auch die Chance, sich im Wellnessbad zu sammeln, in seine Sinne zu spüren, sich von diesen leiten zu lassen, weiter in den Körper einzudringen, immer tiefer zu spüren und am Ende eine beglückende Erfahrung unseres wahren Seins zu machen.“

Wir sind viel mehr unser Körper, als dass wir ihn hätten, sagt Jäger. Und wenn wir unser Körper sind, dann ist jede Veränderung und Entwicklung unseres Seins immer auch eine Veränderung und Entwicklung unseres Körpers. Oder umgekehrt: Jede Arbeit an unserem Körper ist immer auch eine Arbeit an unserem Sein. Eine Aufforderung dieses
in religiösen Kreisen kontrovers diskutierten Buches ist es, den Körper und seine Sinne als Medium und Ort von spirituellen Sinneserfahrungen zu Bewusstsein zu bringen und zu kultivieren.

Das „Selbst“ als letzter sakraler Ort?

Lässt sich die Entwicklung von Wellness zu Selfness und Mindness als eine derartige Kultivierung sehen? Nachdem wir uns, laut Trend-Analytiker und wohl auch ein wenig Trend-Erfinder Matthias Horx, im Rahmen des Wellness-Trends um das Wohlbefinden von Körper und Seele gekümmert haben und im Rahmen des Selfness-Trends unser Ich, unsere Persönlichkeit gepflegt haben, rückt dann bei einer ganzheitlichen Betrachtungsweise fast zwangsläufig unser Geist ins Blickfeld. Mindness setzt nun auf Werte wie positives Denken, Selbstverwirklichung, Zukunftsoptimismus und Lebensqualität.

Mit neuen Selbsttechnologien – dem Lifemanagement oder Selbst-Coaching – geht es um die Gestaltung eines neuen Innenraums, eines psychischen Raums, der über (primär mentale) Techniken der Kontrolle von leibhaftigen Gefühlen konstruiert wird, schreiben Elisabeth Mixa und Edith Futscher in ihrem Aufsatz „Heterotopien des Wohlfühlens. Analysen und Thesen zu Wellness“ (im Buch „Ritualisierungen von Geschlecht“). „Negative Erinnerungen werden ‚gelöscht‘, positive stimuliert und über ästhetisierte Praxen und Räume inszeniert. Dieses alles steuernde und optimierende Selbst, welches es im Innenraum aufzuspüren und über Training zu kultivieren gilt, erscheint als letzter sakraler Ort.“ Das „Selbst“ als heiliger Ort? Eine Gesellschaft, die einer versteckten („Du darfst“) Verpflichtung zu Rekreation und Genuss unterworfen wird, dem „Gebot des Selbstseins“? Geht es in der Wellness-Selfness-Mindness-Bewegung um einen „postmodernen Anstandsdiskurs“, um Normalisierungsprozesse neuer Lebensstile, um sanfte Anpassungen an die Diktate von Globalisierung und Neoliberalismus?

Der nächste Trend: Fairness – denn Gutsein macht glücklich

Wellness-Spiritualität ist letztlich schädlich, antwortet der österreichische Pastoraltheologe und Werteforscher Paul Zulehner auf Jägers und Quarchs Verheißungen. Denn in einer Kultur der Ich-Besorgnis liege es nahe, dass auch die dort gebotene Spiritualität nur der Ich-Inszenierung diene. „Wo die Wellness, die Wohl-Lust, boomt, kann Spiritualität zu deren Steigerung genützt werden. Dann dienen spirituelle Praktiken dem Abbau von Stress, der Bewältigung von Leid, der Rechtfertigung unstillbarer Bedürfnisse. Unbemerkt wird aus einem unpassenden Gott ein uns passender Gott. Spiritualität kann dann eine Art Religion ohne Gott werden: Wir richten es uns mit Gott, statt uns von ihm richten und damit herrichten und aufrichten zu lassen.“ So gesehen verändert uns die Wellness-Spiritualität nicht, was Grundvoraussetzung wirklicher Heilung wäre, sondern übertüncht lediglich unsere Krankheit spirituell. „Sie ist Flucht aus dem Elend in ein spirituell erzeugtes Paradies, aber keine Umwandlung des Lebens und der Welt in eine menschenfreundlichere Gestalt.“

Vielleicht fehlt ja der Wellness-Selfness-Mindness-Bewegung nur noch ein letzter Trend, um auch von solchen Kritikern anerkannt zu werden, um mit der Qualität einer Religion mitzuhalten. Ein Trend des Sozialen – nennen wir ihn, damit er in die nette „-ness“-Reihe passt, einen Trend der Fairness. In der Psychologie ist man hier schon einen Schritt voraus. In der modernen Psychoanalyse wächst zurzeit die Erkenntnis, wie sehr Menschen mental miteinander verwoben und unbewusst aufeinander bezogen sind. Intersubjektivität heißt dort der neue Schlüsselbegriff, quer durch alle Schulen und Methoden. Auch in der Hirnforschung geht man in diese Richtung: Dort ist man draufgekommen, dass Glück und soziale Vernunft eine gemeinsame Wohnadresse im Stirnbereich der Hirnrinde haben. So eine Zuordnung ist natürlich mit Vorsicht zu genießen, aber sie entsteht meist nicht zufällig und hat so gesehen auch einen Aussagewert. Und was sagt die obige Zuordnung aus? Vielleicht, dass uns zum Glücklichsein neben Wellness, Selfness und Mindness nur noch das Gutsein fehlt.
 
Quellen:
„Ritualisierungen von Geschlecht“, Birgit Sauer, Eva-Maria Knoll (Hg.), Facultas Verlag
„…denn auch hier sind Götter. Wellness, Fitness und Spiritualität“, Willigis Jäger, Christoph Quarch, Herder Verlag
„Das Buch vom Bad“, Françoise de Bonneville, Collection Rolf Heyne
 

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