Wellness-Beiträge



Die Selbstverantwortung für die Gesundheit wird weiter zunehmen

Was bedeutet Gesundheit heute? Die Berliner Morgenpost sprach mit dem Vorsitzenden des Deutschen Wellness Verbandes, Lutz Hertel.


Herr Hertel, was genau kritisieren Sie am kommenden Medical Wellness Kongress in Berlin?

Die Veranstaltung basiert unserer Auffassung nach nicht auf einem relevanten Bedarf und Interesse in der Bevölkerung, sondern lediglich auf einem behaupteten Trend "Medical Wellness", für den wir bis heute keinerlei empirische Basis erkennen können. Interessengruppen, die durch den angeblichen "Medical Wellness Trend" wirtschaftliche oder politische Vorteile für sich erwarten, versuchen durch Nutzung der Medien eine von ihnen gewünschte Nachfrageentwicklung zu erzeugen. Diese ist jedoch weder auf Seiten der Dienstleistungsunternehmen, noch auf Seiten der Bürger bislang in nennenswerter Weise eingetreten.

Im letzten Jahr wurde auf dem ersten Medical Wellness Kongress in Berlin, an dem sich noch der Deutsche Wellness Verband als Partner beteiligt hatte, vom Kongresspräsidenten eine Definition vorgelegt, die als Konsensdefinition aller an diesem Kongress beteiligten Verbände bezeichnet wurde. Sie lautet: «Medical Wellness beinhaltet gesundheitswissenschaftlich begleitete Maßnahmen zur nachhaltigen Verbesserung der Lebensqualität und des subjektiven Gesundheitsempfindens durch eigenverantwortliche Prävention und Gesundheitsförderung sowie der Motivation zu einem gesundheitsbewussten Lebensstil». Abgesehen davon, dass diese Definition viel zu kompliziert und allgemein formuliert wurde, um eine allgemein verständliche Spezialisierung innerhalb des Wellnessbereiches abzugrenzen, hat sich unser Verband sofort geweigert, diese Definition mit zu tragen. Unsere Kritik wurde jedoch ignoriert. In der Praxis hat die Definition unserer Wissens nach keinerlei Bedeutung und Beachtung erfahren. Schließlich muss man sich auch fragen, ob der Kauf eines Joghurts mit lebenden Joghurt-Kulturen (die ja gut für ein gesundes Darmmillieu sein sollen), als Medical-Wellness-Maßnahme bezeichnet werden muss. Versteht man den Wellness-Begriff richtig, so schließen sich Medizin und Wellness ohnehin gegenseitig aus.

Nun soll auf dem zweiten Medical Wellness Kongress wieder über die Definition diskutiert werden. Und man wird sich mit Bewegung, Ernährung und Entspannung befassen. Braucht es dafür einen Medical Wellness Kongress? Wir meinen: Nein.

Preise steigen, die Mehrwertsteuer wurde erhöht, Löhne und Gehälter stagnieren – trotzdem geben die Deutschen so viel Geld für private Gesundheitsvorsorge aus wie nie. Wo sehen Sie die Gründe?

Der Gesundheitsbegriff und das Gesundheitsverständnis wurde in den letzten Jahren zunehmend erweitert. Neben dem ersten Gesundheitsmarkt, der sich durch die staatlich regulierten Strukturen unseres Gesundheitssystems definiert (und in dem es aufgrund der unablässigen medizinischen und technischen Fortschritte eine Kostenentwicklung trotz Kostendämpfungsmaßnahmen seitens der Politik gibt), hat sich ein zweiter Gesundheitsmarkt etabliert, in dem die Bürger zu 100% aus eigener Tasche investieren. Dabei geht es um funktionale Lebensmittel, Vitamintabletten, Gesundheitssport, alternative Behandlungsmethoden, Massagen und sonstige Körperbehandlungen, Besuche von Kursen und Veranstaltungen mit thematischem Bezug zu Gesundheit bis hin zu Körperpflege und Anti-Aging-Maßnahmen. Hierzu gehört auch die so genannte Lifestyle-Medizin, von Botox bis Viagra. All das hat es vor zehn Jahren noch nicht gegeben.

Die steigende Nachfrage steht in Verbindung mit der erhöhten Lebenserwartung und mit dem Wunsch, die hinzu gewonnenen Jahre auch mit Lebensqualität anzureichern. Dies betrifft vor allem die jetzt in die kritischen Jahre kommende Babyboomer-Generation, die aufgrund ihres hohen Bevölkerungsanteils die Nachfrage und damit die gesamtgesellschaftlichen Ausgaben steigen lässt. Da sich das solidarisch organisierte Gesundheitssystem immer mehr auf das medizinisch Notwendige zurückzieht, bleibt den Bürgern nur die Privatfinanzierung.

Nach einer Studie von Roland Berger überstieg in 2007 die Nachfrage nach Leistungen im zweiten Gesundheitsmarkt das Angebot bereits um 16 Mrd. Euro. Es ist also damit zu rechnen, dass zukünftig noch mehr Geld für Gesundheit im weitesten Sinne ausgegeben werden wird.

Inwiefern haben sich das Verhältnis zwischen Gesundheit und Krankheit und unser Umgang damit in den letzten Jahren verändert?

Gesundheit ist durch den zunehmenden Druck im Arbeitsleben immer mehr zu einer Leistungsressource geworden. Es ist heute weniger ein Zustand, sondern immer mehr eine Fähigkeit - unter anderem auch, sich trotz vorübergehender Störungen und Leiden aktiv und produktiv am gesellschaftlichen Leben weiter beteiligen zu können. Andererseits hat das mechanistische Verständnis von Gesundheit, wie es von der immer noch dominierenden Schulmedizin vertreten wird, zunehmend Kritik erfahren. Die so genannte ganzheitliche Betrachtung des Menschen im Gegensatz zur isolierten Behandlung eines gestörten Organs oder Organsystems ohne Berücksichtigung der mentalen, emotionalen und sozialen Einflussgrößen, hat Konkurrenz von traditionellen Gesundheitssystemen aus dem asiatischen Kulturraum bekommen. Manches davon mag als Spekulation und Hokuspokus bewertet werden. Der Mensch ist aber aus den vorgenannten Gründen auch dafür empfänglich. Dass der Glaube heilt, dass Gedanken und Gefühle unsere Gesundheit mit steuern, ist inzwischen auch wissenschaftlich unzweifelhaft belegt.

Trendprognose: Erst kam Wellness, dann auch noch Medical Wellness – was kommt in der Zukunft?

Medical Wellness hat als Angebotsform oder "Trendprogonose" allenfalls eine Berechtigung, wenn es um Lebensstil-Medizin für chronisch Kranke geht. Die meisten Herzoperationen könnten z.B. vermieden werden, wenn die Betroffenen herzgesund gelebt hätten oder es nach einem Infarkt beginnen würden. Ich glaube, dass die Selbstverantwortung für die Gesundheit in den nächsten Jahren noch sehr viel mehr in das Bewusstsein rücken wird. Die heutigen, weitgehend passiv-kompensatorischen Angebote im Wellnessbereich werden erweitert durch wirksame Programme aktiver Gesundheit. Die Erfahrung von Selbstwirksamkeit, das heißt die Erkenntnis, durch eigenes Tun sein Schicksal in die gewünschte Richtung lenken zu können, ist ja ein bislang noch wenig einbezogener Wellness-Faktor. 

Welche neuen Bezeichnungen sich dafür finden werden, kann ich heute noch nicht sagen. Ein Kollege sprach kürzlich von "Wiseness" - Lebensklugheit.

Das Interview führte Anne Klesse, Berliner Morgenpost.

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